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Die wahren Paradiese

Die meisten Betrachter von Gartenbildbänden haben vermutlich keine Ahnung, wie solche Bücher üblicherweise entstehen. Man kann es sich ungefähr so vorstellen: Am Anfang der Gartenreportage steht ein Fototermin und die dabei entstandenen Aufnahmen bilden die Grundlage, für die Auswahl der Gärten, die letztendlich den Sprung in das Buch schaffen. Entscheidend ist also auch, ob an diesem Tag das Wetter mitspielt und ob ein Zeitpunkt gewählt wurde, an dem der Garten sich von seiner besten Seite zeigt. Die Geschichte des Gartens und seiner Bewohner ist in den meisten Büchern dieser Art zunächst zweitrangig. Bei den Besitzern der auserwählten Gärten meldet sich der Autor/die Autorin dann telefonisch, um ein paar Fragen zu stellen. Eine ausführliche Beschreibung der Anlage haben die Gartenleute nämlich schon vorab beim Verlag abgegeben. Persönliches Erscheinen der Autoren in den von ihnen porträtierten Gärten ist mittlerweile nicht mehr Usus. Dafür wird dann bei den Beschreibungen gerne die eine oder andere Anekdote hinzugedichtet, um die Sache interessanter zu gestalten. Kein Wunder, dass bei so einer Arbeitsweise viele Gartenbesitzer vom Ergebnis enttäuscht sind und sich nicht selten völlig unzureichend dargestellt sehen.

 

Beim vorliegenden Werk wurde erfreulicherweise ein anderer Weg gewählt. Hier kommen nämlich die Gartenbesitzer tatsächlich selbst zu Wort und sie beschreiben ihre privaten Paradiese in ihren ganz eigenen und manchmal auch recht eigenwilligen Worten. Da sinniert ein Hobbygärtner, ob es vielleicht an seinem Fische-Sternzeichen liegen könnte, dass der Teich eine zentrale Rolle in seinem Garten spielt. Eine Gartenbesitzerin verrät, dass sie mit selbst ausgesätem Rittersporn weit bessere Erfahrungen hat, als mit gekauften Exemplaren, bei denen sie ein zu schnelles Wachstum durch Überdüngung vermutet. Eine mit dem Rosenvirus infizierte Pflanzenfreundin freut sich schon auf das Rentenalter - vermutlich wird sie dann nur noch in ihrem Garten anzutreffen sein, den sie mit überbordender Begeisterung beschreibt.

 

Die Gartenbesitzer schildern die kleinen Freuden des Alltags, die ihnen der Garten schenkt und sie berichten ungeschönt über Mühen und Rückschläge, die sie bei ihren Vorhaben erlebt haben. Da werden inspirierende Begegnungen mit Gleichgesinnten nachgezeichnet oder liebevolle Einträge aus dem Garten-Gästebuch zitiert. Die Gärtnerinnen und Gärtner erzählen von ihren Träumen, welche sie zum Tun beflügeln und teilen wertvolle Erfahrungen mit. Schillernde Geschichten von exzentrischen Gartenfreaks sucht man vergebens. Trotzdem hat man nicht den Eindruck, dass hier eine zusammengewürfelte Schar von Hobbygärtnern porträtiert wird. Vielmehr handelt es sich um echte Könner, die alle beeindruckende Paradiese geschaffen haben, aber in ihren Beschreibungen dazu dennoch bodenständig geblieben sind. Herausgeberin Marina Wüst hat es bewerkstelligt, all diese individuellen Gartengeschichten in eine ausgewogene Reihe zu bringen und dabei den einzelnen Beiträgen ihre jeweilige persönliche Note zu lassen. Gerade weil ich in Gesprächen mit Gartenbesitzern immer wieder von der eingangs geschilderten Variante höre und daher weiß, wie wichtig den Gärtnerinnen und Gärtnern eine realistische Darstellung ihrer Gartenparadiese ist, rechne ich es der Herausgeberin hoch an, dass sie sich dieser Aufgabe wirklich gestellt hat. Zumal ihr bestimmt vorher klar war, dass das Ergebnis nicht so aalglatt sein wird, wie bei einem reinen Autorenwerk. Zu allen Gartenporträts gibt es neben einer Fülle von ausdrucksstarken Bildern auch farbige Planskizzen der jeweiligen Anlage und alle Gartenbesitzer sind samt Kontaktdaten abgebildet. Insgesamt kann man hier 15 sehr dekorative Gärten aus ganz Deutschland und Österreich bewundern, darunter auch die traumhaften Grünoasen der beiden Urheber dieses Buches.

 

Der passionierte Hobbyfotograf Domingo Vazquez hat einen Großteil der stimmungsvollen Bilder gemacht, die eine oder andere Aufnahme stammt von den Gartenbesitzern selbst. Dadurch konnten man auch hier wieder auf besondere Wünsche der Gärtner eingehen und beispielsweise Winterbilder oder andere Situationen zeigen, die der Fotograf saisonbedingt nicht erwischen konnte. Das nicht alle Fotos einwandfrei sind, könnte eben diesem Mitspracherecht der Porträtierten bei der Buchgestaltung geschuldet sein. Da das Buch ansonsten wirklich ansprechend gestaltet ist, kann man die einzelnen, weniger geglückten Bilder vielleicht noch als "speziellen Charme" verbuchen. Sehr schön finde ich, dass einige sehr weitläufige Gartensituationen abgebildet sind, oft mit Ausblicken in die umgebende Landschaft oder die angrenzende Nachbarschaft. Der Fokus liegt bei vielen Bildern auf der Gartendeko, was ich persönlich weniger interessant

finde. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass alle, die ihre Pflanzflächen oder Sitzecken gerne mit Accessoires ausstatten, gerade an diesen Fotos ihre helle Freude haben werden. Alle Gärten sind top gepflegt und wurden anscheinend zu ihren besten Blütezeiten angetroffen. Beim Betrachten der Bilder fühlt man sich versucht, nach kleinen Schönheitsfehlern in den Anlagen Ausschau zu halten, weil alles gar so perfekt aussieht. Immerhin: in einem offenbar mit der Nagelschere geschnittenen Rasen konnte ich einzelne Gänseblümchen erspähen und vor einem abgebildeten Rosenstrauch liegt ein Häufchen angewelkter Blütenblätter - es scheint also alles echt zu sein ;-)

 

Ein mit viel Herzblut gemachtes Bilderbuch mit überraschend privaten Texten von wahren Gartenliebenden. Durch die schweren Buchdeckel, das feste Papier

und die solide Verarbeitung ist es auch coffee-table-tauglich.


Die wahren Paradiese

Fünfzehn traumhafte Gärten

Marina Wüst (Hg.), Domingo Vazquez

hemmer/wüst Verlag 2013

Gebundene Ausgabe

208 Seiten, 39,80 EUR

Format: 28 x 26 cm

ISBN-10: 3861932008

ISBN-13: 978-3861932000

In gekürzter Form erschien dieser Buchtipp in der Gartenkulturführer-Ausgabe 2014

 

Gartenwebsite: www.garten-wuest.de

 

Nachtrag: 2016 ist über den Garten Wüst ein eigenes Buch erschienen: Vom

"Baumeland" zum Traumgarten