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Alte Nutzpflanzen wieder entdeckt

Beim Stichwort Nutzpflanzen denken wir in erster Linie an essbares Grünzeug, vielleicht noch an Heilkräuter oder Färbepflanzen. Mit Pflanzen kann man aber noch viel mehr anstellen, als sie zu essen oder zu Salben zu verarbeiten. Von solchen etwas anderen Nutzpflanzen handelt dieses Buch. So gibt es beispielsweise zahlreiche Gewächse, die zum Wäsche waschen oder zum Putzen geeignet sind. Aus vielen Pflanzenfasern kann man Textilien herstellen oder sie lassen sich zum Flechten und sogar zum Polstern verwenden. 

 

In der überarbeiteten Neuausgabe des 2008 zum ersten Mal erschienenen Buches werden 60 Pflanzen vorgestellt, die als Haushaltshelfer oder für Kreativarbeiten verwendbar sind. Meist handelt es sich dabei um Anwendungsbereiche, die in unserem Alltag mittlerweile fast vollständig von Industrieprodukten bestimmt werden, wie zum Beispiel die Abwehr von Schädlingen. Im Kleiderschrank kann aber auch ein selbstgemachtes Säckchen mit Waldmeisterkraut die Motten fernhalten und für den Garten gibt es gleich mehrere Rezepte von Wermut-Tee über Brennnessel-Jauche bis hin zu Rainfarn-Brühe - je nachdem, ob es Ameisen, Läuse oder Milben zu vertreiben gilt. Anleitungen zum Färben von Wolle oder Ostereiern wechseln sich ab mit Rezepten für sogenannte Ersatzprodukte, etwa Kaffee aus Zichorie oder Eicheln, Löwenzahn-Kapern oder Lindensamen-Schokolade.

 

Besonders spannend fand ich die beschriebenen "Versuche zum Lab-Ersatz mit echtem Labkraut". Dazu muss man wissen, dass in alten Kräuterbüchern oft von der Verwendung von Labkräutern die Rede ist, die man früher angeblich als Ersatz für Kälberlab zur Käseherstellung verwendet hat. Leider hat bisher noch niemand herausgefunden, wie dabei genau vorgegangen wurde. Seit Jahren versuchen Pflanzenkundige, das Verfahren nachzuvollziehen aber bisher gab es kaum überzeugende Ergebnisse. Auch die Autorin bewertet ihre Versuche als "ohne Erfolg" bzw. "geringer Erfolg" und ich finde es bemerkenswert, dass sie diese dennoch veröffentlicht hat. Das Beispiel zeigt anschaulich, wie altes Wissen nach und nach verloren geht und nicht mehr rekonstruiert werden kann. Wir können solche Rezepte nur am Leben erhalten, in dem wir sie anwenden und weiter entwickeln.

 

Ein Kapitel ist dem Kinderspiel gewidmet. Hier findet man einige Anregungen, die sich nicht nur zuhause, sondern auch auf Spaziergängen direkt in der Natur umsetzen lassen, sofern man das nötige Werkzeug - zum Beispiel ein Taschenmesser für die Herstellung eines Eschen-Pfeiferls - dabei hat. Gezeigt werden alte Kinderspiel-Klassiker wie das Klatschmohn-Püppchen oder eine Wasserleitung aus Stängeln des Wiesenbärenklaus. Der wichtige Hinweis auf mögliche allergische Reaktionen beim Berühren dieser Pflanze wurde nicht vergessen. Umso mehr freut es mich, dass der Wiesenbärenklau in so einem Zusammenhang überhaupt noch genannt wird, angesichts der sonst üblichen Panikmache, die derzeit bei diesem und anderen Gewächsen geschürt wird, welche nicht ganz unproblematisch in der Handhabung sind. Grundvoraussetzung beim Arbeiten mit Pflanzen sollte nämlich sein, dass man sie sicher bestimmen kann und über mögliche Wirkungen ihrer Inhaltsstoffe sowie geeignete Schutzmaßnahmen informiert ist. Entsprechende Warnhinweise findet man auch bei anderen Pflanzen, die in diesem Buch beschrieben werden.

 

Das Buch besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen. Nach einer kurzen Einführung werden zunächst alle Pflanzen porträtiert. Die Porträts sind bereits in Verwendungsbereiche wie zum Beispiel "Wäschepflege" oder "Faserpflanzen" eingeteilt. Der zweite Teil besteht aus praktischen Anleitungen, die ebenfalls wieder in diese Bereiche sortiert sind. Optisch finde ich das Werk nicht so überragend, was zum einen an den in Qualität und Stil recht unterschiedlichen Abbildungen und zum anderen am (für meinen Geschmack) unausgewogenen Verhältnis der Schriftgrößen zwischen dem Text und den Überschriften liegen mag. Leider sind nicht alle Rezepte bebildert. Ein Stichwortverzeichnis und nützliche Hinweise zu weiterführender Literatur und Bezugsquellen machen die Sammlung komplett.

 

Eine Fundgrube für experimentierfreudige Pflanzenfreunde und Selbermacherinnen mit vielen fast vergessenen und ungewöhlichen Verwendungsmöglichkeiten von Wildkräutern und Gartenpflanzen.

 


Alte Nutzpflanzen wieder entdeckt

Traditionelles Wissen für den Alltag

Gertrud Scherf

BLV 2014

 

2., überarbeitete Auflage

Gebundene Ausgabe

160 Seiten

EUR 19,99

Format 25,2 x 20 cm

ISBN-10: 3835412493

ISBN-13: 978-3835412491